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17 Fragen an… Dominikus Herzberg von „denkspuren“

7. Juli 2008 Einsortiert in 17 Fragen an..., Cafegespräche

Wissenschaftliche Blogs faszinieren immer wieder durch ihre Vielfalt. Sie werden von Doktoranden genutzt, um Arbeitsnotizen zu sammeln oder dienen Dozenten der Begleitung von Seminaren und Vorlesungen. Man kann kurze Querverweise ebenso finden wie tiefsinnig argumentierende Essays.

Ein Hochschullehrer, der geradezu mustergültig vorführt, wie ein wissenschaftlicher Blog eingesetzt werden kann, ist Dominikus Herzberg. Er lehrt ‚Software Engineering‘ an der Hochschule Heilbronn und ist seit bald 2 Jahren in seinem Weblog aktiv.

Dort findet man Essays zur Frage, weshalb der Systembegriff in der Informatik bislang kaum rezipiert wurde oder man kann nachlesen, wie sich ein deutscher Professor frech in die Kassenschlange bei LIDL einreiht, um zu testen, ob der berüchtigte Kassenbug inzwischen behoben ist.

Wer noch nicht überzeugt ist, daß „Informatik angewandte Philosophie“ ist, dem sei ein Besuch im „denkspuren“-Blog dringend empfohlen.

Zuerst aber folgen noch 17 Fragen an…

Dominikus HerzbergProf. Dr.-Ing. Dominikus Herzberg
Professor für Software Engineering
Hochschule Heilbronn
denkspuren

Bloggt seit: August 2006
Posts: insgesamt ca. 90
Wissenschafts-Café-Profil: hier

1. Worüber hast Du zuletzt gebloggt?

Der Beitrag vom 24. Juni befasst sich mit Komponenten-Orientierung. Komponenten sind im Softwarebau so etwas wie Legosteine mit Hilfe derer man sich größere Systeme zusammensetzen kann. In dem Beitrag geht es darum in Erinnerung zu rufen, dass es nicht nur die Lego-, sondern auch die Fischer-Technik-Fraktion gibt. Die Fischer-Techniker(innen) haben ein etwas anderes Verständnis von einer Komponente als die Lego-Leute, auch wenn die Baukasten-Idee im Grunde dieselbe ist.

2. Wie erklärst Du beim Party-Small-Talk, womit Du dich wissenschaftlich beschäftigst?

Mein Thema ist die Softwaretechnik. Ich erzähle drei Minuten darüber, dass große Software-Systeme mit all dem Aufwand geplant und gebaut werden wie z.B. eine Straße, ein Flughafen oder ein Hochhauskomplex. Entsprechend benötigt man auch in anspruchsvollen Softwareprojekten mehrere Hundert Personen. Es gibt Architekten, die Softwareentwürfe in Konstruktionszeichnungen festhalten, es gibt Logistiker, Projektmanager, Bauleute, eine Qualitätssicherung, und vieles mehr; nur bauen wir Software noch lange nicht so zuverlässig und planvoll wie Hochhäuser.

Softwaretechnik ist für viele Menschen etwas sehr abstraktes.

So etwas wie einen Blue Screen (ein unmotivierter Totalausfall eines Rechners) oder die willkürliche Dokumentenzerstörung durch die Textverarbeitung kurz vor Abgabe der Abschlussarbeit, so etwas ist den „echten“ Ingenieuren weitgehend fremd. In der Softwaretechnik muss man damit (noch) leben. Da gibt es eine Menge zu lehren und zu forschen. Meine Gesprächspartner nicken meist verständnisvoll, wissen jedoch gewöhnlich nicht, was sie noch fragen sollen. Informatik bzw. die Softwaretechnik ist für viele Menschen etwas sehr abstraktes und das Thema ist durch.

3. Schon einmal daran gedacht, die Wissenschaft an den Nagel zu hängen?

Als Professor an einer Fachhochschule hat man in aller Regel für mehrere Jahre die akademischen Pfade verlassen. Die meisten FH-Professoren kommen aus der Industrie bzw. Wirtschaft. Einige Jahre praktische Erfahrungen sind Pflicht für eine Berufung. Insofern habe auch ich die Wissenschaft zwischenzeitlich an den Nagel gehängt. Tatsächlich habe ich während meiner Industriezeit parallel bei Prof. Nagl (!) promoviert. Ich habe mich also redlich bemüht, die Wissenschaft an den Nagl zu hängen. Es scheint mir gelungen zu sein ;-)

4. Und womit ließe sich stattdessen die Zeit vertreiben?

Mit satten, ausgiebigen Ritten durch die Prärie des World Wide Web.

5. Das nervigste Detail am akademischen Betrieb?

Es ist kein leichtes, Gelder für Forschungsvorhaben einzuwerben. Hat man sie denn, dann fehlt an den Fachhochschulen der akademische Mittelbau (promovierende Assistenten).

6. Wie erklärt man in drei Sätzen, weshalb Wissenschaft dennoch faszinierend ist?

Die Informatik ist für mich so etwas wie angewandte Philosophie!

Die Informatik ist für mich so etwas wie angewandte Philosophie! Ich denke in Konzepten und Modellierungswelten, kann sie aber — im Gegensatz zum Philosophen — mit dem Computer ergründen. Und so mache ich immer wieder für mich kleine, spannende Entdeckungen, was so manchen Anlass für ein Blog-Posting gibt.

7. Die beste Antwort auf die Frage, was man unter „Web 2.0“ und/oder der „Blogosphäre“ versteht?

Das Web 2.0 ist das weltgrößte Usability-Experiment (Usability = Nutzerfreundlichkeit) für Computer-Anwendungen. Seitdem sich mit der Web 2.0-Technologie die Anwendungen von einem Betriebssystem gelöst haben und in den Web-Browser gewandert sind, ist es zu ganz neuen Ideen und Spielarten bei Gestaltung und Design von Bedienungskonzepten gekommen.

Ich denke, dass da noch viel aggressiver neue Konzepte ausprobiert werden könnten. Ich sehe das Web 2.0 weniger aus einer sozialen Warte. Dass Menschen jegliche Technik zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse ausloten, ist zwar keine große Überraschung aber auch ein interessantes Forschungsgebiet.

8. Auf welche Weise bist Du zum bloggen „verführt“ worden?

Ich schreibe gerne. Und da es weitaus mehr Spaß macht für jemanden zu schreiben als für sich allein und der Blog ein wunderbares Ding zwischen informeller EMail und wissenschaftlichem Artikel ist, beschloss ich, den Versuch zu wagen und begann mit der Bloggerei. Als Zielgruppe habe ich vorwiegend meine Studierenden im Blick, auch wenn ich weiß, dass meine Lesergruppe sich nicht darauf beschränkt.

9. Mehr als Kopfschütteln geerntet, als Du Kollegen von Deinem Blog erzählt hast?

Manche gehören zu meinen treuen Lesern, andere ignorieren meinen Blog. Auch gut. Negativ geäußert hat sich noch keiner.

10. Ein unschlagbares Argument für einen wissenschaftlichen Blog?

Ein Wissenschaftsblog ist doch so etwas wie „Die Sendung mit der Maus“ für Große, oder? Außerdem sind Wissenschaftsblogs von einer Qualität, die ein interessantes Gegengewicht darstellen zu den heutigen popularisierenden Wissenschaftssendungen im Fernsehen. Dort wird wenig erklärt, viel bestaunt und sensationell in Szene gesetzt.

Ein Wissenschaftsblog ist doch so etwas wie „Die Sendung mit der Maus“ für Große, oder?

Und sie sind auch ein Gegenentwurf zu dem ausgearbeiteten, wohl temperierten Beitrag in einer Wissenschaftszeitschrift. Wissenschaftsblogs leben für mich sehr von dem Moment, Gedankenauszüge eines Wissenschaftsjournalisten oder eines Wissenschaftlers zu präsentieren, die auch mal rauh, ungehobelt und unausgegoren daher kommen dürfen. In der Folge der Postings ist ein Prozess, ein Nachdenken, ein Streiten oder auch ein Ringen um eine Thematik erkennbar; ein Vorgang, den ich spannend und erkenntnisreich finde.

11. Und das beste Argument dagegen?

Der Mensch braucht auch Entspannung, Klatsch und Tratsch!

12. Interessanteste Begebenheit im Zusammenhang mit der Bloggerei?

Im Oktober 2007 nahm ScienceBlogs (Hubert Burda Media) Kontakt zu mir auf. Mein Blog war dort aufgefallen und als Kandidat zur Aufnahme in den geplanten deutschsprachigen Ableger von Scienceblogs.com (siehe ScienceBlogs.de) auserkoren worden. Ich war sehr überrascht darüber, wozu mein Bloggen offenbar geführt hatte und fühlte mich sehr geehrt über das Angebot. Denn die englischsprachigen Blogs bei ScienceBlogs.com genießen teils ein hohes Ansehen.

Der angebotene Vertrag dämpfte jedoch meine erste Begeisterung erheblich und ich suchte Kontakt zu anderen „Betroffenen“. Ich stieß auf Marc Scheloske (den Steller dieser 17 Fragen) und ich erlebte, dass es Menschen wie Marc gibt, die sich sehr aktiv für eine Community von Wissenschaftsbloggern einsetzen (siehe z.B. das wissenschafts-cafe.net), sich kritisch mit der Vermarktung von Wissenschaftsblogs auseinandersetzen und doch nicht die Symbiose von Wissenschaft und Kommerz scheuen.

Mich hat sehr fasziniert, wie das Bloggen plötzlich neue Kontakte auftat zu Menschen, denen ich mich im Anliegen des wissenschaftlichen Bloggens verbunden fühle. Seitdem habe ich das Gefühl, Teil einer Community von Wissenschaftsbloggern und –bloggerinnen zu sein. Auch ohne ScienceBlogs.de.

* Kleine Anmerkung: Danke natürlich für die Blumen. Und – das als Randbemerkung – die Vertragsbedingungen für die Blogger bei Scienceblogs haben sich inzwischen geändert. (Hinweis: Ich muß es wissen – denn ich bin selbst seit einiger Zeit Mitarbeiter bei Scienceblogs.de.)

13. Sind Kommentatoren in Blogs nicht eigentlich störend?

Ganz und gar nicht. Immer wieder erhalte ich darüber interessante Hinweise, Links oder Anregungen.

14. Bei welcher Gelegenheit, an welchem Ort fallen einem die besten (Blog-)Geschichten ein?

Überall und spontan. Wenn das planbar wäre …

15. Haben Blogs Suchtpotential und wenn ja, was kann man dagegen tun?

Auf alle Fälle. Vor allem, wenn man sie in einem Feed-Reader zusammenträgt. Wir Menschen scheinen überaus empfänglich zu sein für einen ewigen Reizstrom an Neuigkeiten. Da ist die Sucht nicht fern. Ein Gegenmittel? Eine Bannmeile um alle elektronischen Geräte einrichten. Übrigens gehören auch Fernseher, Radios und Handys mit WLAN-Zugang zu den elektronischen Geräten. :-)

16. Für welche nichtwissenschaftliche Thematik wärst Du als Blogger prädestiniert?

Es gibt Stimmen, die halten die Informatik, die Computer Science, nicht unbedingt für eine Wissenschaft. Diese Kritik ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Jenseits mathematisch-formaler Methoden fehlt es der Informatik durchaus an einer klaren Konvention, was wissenschaftliche Herangehensweise und Methodik ist.

Es gibt Stimmen, die halten die Informatik nicht unbedingt für eine Wissenschaft. Insofern blogge ich vielleicht schon seit fast zwei Jahren über ein nicht-wissenschaftliches Thema.

Es fehlt an Hypothesenbildung und belastbaren Experimenten, Konzepte rechtfertigen sich an industrieller Relevanz bzw. diffusen Kriterien von „besser“ oder „eleganter“, Veröffentlichungen über die letzten 10 Jahre hinaus werden gerne ignoriert.
Das Rad wird oftmals — ohne es zu merken — neu erfunden und Ergebnisse von Kollegen sind oft nicht reproduzierbar, da Betriebssysteme und verwendete Sprachen mit ihren Bibliotheken rasch überholt sind.

Im Lichte dieser Kritik blogge ich vielleicht schon seit fast zwei Jahren über ein nicht-wissenschaftliches Thema ;-)

17. Und worüber werden wir niemals in Deinem Blog lesen?

Über Dinge, über die ich so gar keine Ahnung habe. Und das ist ziemlich viel :-)

Vielen Dank für Deine Antworten.

Zum Blog von Dominikus geht es hier lang:
denkspuren

Zur Profilseite im Wissenschafts-Café (mit Bewertungsmöglichkeit).

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2 Antworten auf “17 Fragen an… Dominikus Herzberg von „denkspuren“”

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